Heute Morgen ein vollkommenes
Novum. Es regnet. Soweit durchaus üblich. Doch es schüttet nicht. Und der Regen
will auch nicht aufhören. „Anhaltender Landregen“, denke ich, drücke den
Schlummerknopf auf meinem Wecker und drehe mich noch einmal um. Als ich während
des Frühstücks dem niemals schweigenden Radio unserer Hauswache Omar lausche
weiß ich, dass dieser ungewöhnliche Regen als durchaus passender Vorbote für
einen melancholischen und eher traurigen Tag in Afrika gelten darf. Nelson
Mandela ist mit 95 Jahren gestorben. Er wird den ganzen Tag über und sicher
auch in den folgenden alle Gespräche und die Medien beherrschen. Man muss ihm seine
Verdienste hoch anrechnen, am höchsten sicherlich, dass er nach 27 Jahren in
Haft das Gefängnis nicht als verbitterter und gebrochener Mann verlassen hat
sondern bis zuletzt für Versöhnung und eine friedliche Veränderung der
Gesellschaft hin zum Besseren geworben hat. Man sollte dieses weltweit
beachtete Ereignis aber auch zum Anlass nehmen, der unzähligen Menschen zu
gedenken, die sicherlich ebenso große Taten, vielleicht sogar noch größere vollbracht
haben und jeden Tag vollbringen, jedoch nicht zur Ikone aufgestiegen sind
sondern unbeachtet in einer Gefängniszelle dahinsiechen. Wer sich immer schon
gedacht hat „Das ist schlimm und nicht akzeptabel, aber ich kann ja nichts
dagegen unternehmen“, dem kann ich aus eigener Erfahrung widersprechen und auf
die Arbeit von Amnesty International aufmerksam machen, die tausende „Gefangene
aus Gewissensgründen“ durch die Mitwirkung vieler Einzelner zur Freiheit
verholfen hat. Nelson Mandela möge mir diese Instrumentalisierung verzeihen,
aber ich bin sicher, dass er nichts dagegen gehabt hätte. Im Gegenteil.
And now for something completely different:
Mein zweiter Besuch im Kayunga
District liegt nun schon ein paar Wochen zurück. Vielleicht ist dieser Abstand
nötig um möglichst neutral vom Folgenden berichten zu können: Dem Besuch einer
Messe der "Born again“-Gemeinde, der Denis jeden Sonntag beizuwohnen pflegt. Schon
bei meinem ersten Besuch hatte mich Denis der Priesterin Eva vorgestellt und
ich hatte seinerzeit zwar nicht versprochen an einem Gottesdienst in ihrer „Kirche“
teilzunehmen, aber eben auch nicht eindeutig widersprochen, was zwangsläufig
als Zusage gewertet werden musste. So machten sich Denis und ich an diesem
Sonntag also in aller Herrgottsfrühe, wie immer gequetscht in ein Sammeltaxi,
auf die anderthalb-stündige Fahrt gen Nordosten. Und ich wusste nicht was ich
zu erwarten hatte, freute mich sicherlich auf ein interessantes Erlebnis,
blickte dem ganzen aber eher mit Misstrauen und Sorge entgegen. Das Gefühl
sollte mich dann bis zum Ende der Veranstaltung auch nicht mehr loslassen. Die
Messe wird in einer Kirche abgehalten, wobei aber nicht an architektonisches
Weltkulturerbe sondern an eine einfachste Hütte mit Wänden aus Lehm zu denken
ist, dessen Wände von innen mit Zeitungspapier beklebt sind. Der Boden ist
nicht gepflastert, elektrisches Licht ist (noch) nicht installiert. Schon als
wir ankommen sind einige Gläubige dabei Gebete zu sprechen. Die Augen sind
geschlossen, die Arme gen Himmel gestreckt. Man sitzt oder kniet. Gebete werden
in rasanter Geschwindigkeit ohne Atempause gesprochen. Auf den Jungen aus dem
Osnabrücker Land mit mustergültigem katholischen Lebenslauf wirkt das Ganze
anfangs recht suspekt. Aber ich bin sicherlich nicht hier um zu urteilen,
sondern um einen weiteren Einblick in die Kultur und Lebensweise dieses Landes
zu gewinnen. Nach Denis Aussagen ist unsere Anwesenheit während der ersten
Gebete nicht nötig. Die Vorbeter scheinen das ganze unter sich auszumachen.
Währenddessen sitzen wir vor dem Gotteshaus mit Priesterin Eva, die kaum
Englisch spricht. Doch Denis fungiert als Dolmetscher und so erfahre ich, dass
es ein sehr gutes Zeichen ist, dass ein Muzungu dem Gottesdienst beiwohnen
wird. Außerdem fällt Eva mit der Tür ins Haus und fragt ob es möglich ist noch
viel mehr Muzungus (oder richtig im Plural Bazungu) zum Gottesdienst zu
bringen.
Nachdem ich sage, dass ich nichts versprechen kann, werden mir einige
Mitglieder der Gemeinde vorgestellt und ich werde als Ehrengast von einer
älteren Dame in das Gotteshaus geführt, wobei sie die charakteristischen hohen Laute
ausstößt, die in Uganda traditionell Freude und Anlass zum Feiern ausdrücken. Im
Folgenden sind alle Augen auf mich gerichtet, ich muss ein paar Worte sagen und
mein Auftauchen wird natürlich als Zeichen Gottes gewertet. Kein besonders angenehmes
Gefühl. In der ersten Stunde wird getrommelt, getanzt und gesungen. Einige der
Frauen auf der Bühne/bzw. im „Altarraum“ tanzen sich in eine Art Trance und brechen
schließlich zuckend zusammen. Was aussieht wie ein epileptischer Anfall wird
mir später von Denis erklärt. Die Frauen seien von einer Art bösem Geist
besessen gewesen und Gott sei in sie gefahren. Tatsächlich mischt sich hier
wohl eine Form des traditionellen afrikanischen Naturglaubens an Geister und
Dämonen mit den christlichen Inhalten des New Born-Glaubens. Denis berichtete
mir auch von Wundern, die die Priesterin durch ihre Gebete bewirkt haben soll
(ich möchte nicht vergessen zu erwähnen, dass Denis vom katholischen zum New Born-Glauben
konvertiert ist). So wurden zum Beispiel „Verrückte“, die man gefesselt in die
Kirche brachte, von ihrem Leiden geheilt; ebenso ein alter Mann von seiner
Inkontinenz und ein weiterer gar von HIV/Aids. Auch meine anderen Kollegen im
Büro wussten schon von Wundern zu berichten. Kurz: der Glaube an solche Ereignisse
ist in Uganda weit verbreitet und in den meisten Religionen und allen Bildungsschichten
anzutreffen. Die New Born-Kirche, die in Uganda groß im Kommen ist, würde
daheim wohl (ohne dass ich mich zu weit aus dem Fenster lehnen möchte da ich
mich nicht informiert habe) als christliche Sekte angesehen.
Eindrücke des Gottesdienstes. |
Nach diesem ersten
einschneidenden Erlebnis folgt eine weitere Stunde, in der alle Anwesenden die
Möglichkeit haben den Mitgläubigen von dem durch Gott erfahrenen Glück zu
berichten. Auch Denis hält aus dem Stehgreif eine beeindruckende und lange
Predigt. Außerdem wird Geld für ein bevorstehendes Gemeindefest gesammelt. Ach
übrigens: Das ganze natürlich in Luganda, wobei mir aber eine nette Frau alles
Nötige ins Englische übersetzt hat. Die dritte und letzte Stunde ist
größtenteils für Gebet und Predigt der Priesterin vorgesehen. Es wird eine
Bibelstelle aus einem der Bücher der Propheten (habe leider vergessen welcher,
hatte aber was mit dem Tal der Knochen zu tun) stückweise vorgelesen und von
der Priesterin für die Gemeinde interpretiert. Danach wird gebetet. Und hätte
ich, ohne die nötigen Sprachkenntnisse, nicht gewusst dass es sich um ein Gebet
handelt, von der Gestik, Tonlage und ganzen Art des Vortrags wäre man eher von
einer politischen Brandrede ausgegangen. Die Priesterin schreit fast, betet
aggressiv, in rasantem Tempo, ohne Pause. Dazu zustimmende Rufe aus den Reihen
der Gemeinde. Während und nach dem Gebet gibt die Gemeinde Geld- und
Essensspenden an die Priesterin, die ansonsten nicht bezahlt wird. Zum Schluss
noch einmal Musik und Tanz, man ist schließlich in Uganda.
Als das Ganze nach guten drei Stunden
vorüber ist, bin ich sehr dankbar über diese exklusive und unvergessliche
Erfahrung, aber auch ein wenig froh, dass dieser etwas bizarre Gottesdienst
vorbei ist. Man mag darüber denken und urteilen wie man will. Ich persönlich
habe insgesamt viel positive Energie (und ich meine es hier nicht im
esoterischen Sinne) gespürt und konnte sehen, dass der Glauben den Menschen viel
Kraft gibt. Viel anderes bleibt den meisten auch nicht, denn sie sind bitterarm
und das Leben ist hart. Nichtsdestotrotz scheint mir persönlich der Reflex
tatsächlich alles direkt auf göttliche Fügung zu projizieren als eine zu
einfache Lösung. In einigen Fällen könnte es sogar soweit gehen, dass nötige
medizinische Betreuung zu spät in Anspruch genommen wird, weil zunächst darauf
gehofft wird, dass durch Gebete allein der Betroffene zur Besserung oder gar
Heilung gelangen könnte.
Denis Tante war wieder einmal so nett uns mit reichlich Früchten für die nächsten Wochen auszustatten. Beim nächsten Besuch muss ich mir wirklich etwas einfallen lassen um mich zu revanchieren... |
An die späte Rückfahrt möchte ich
mich lieber nicht erinnern. Es sei nur erwähnt, dass der Dummkopf von einem
Taxifahrer statt der zugelassenen 14 Personen 24 (davon zum Glück 4 Kinder) in
den Kleinbus quetschen ließ. Zudem allerlei Säcke voll Matoke, Früchte und
Holzkohle. Ich wurde, mal wieder, auf der Rückbank verstaut und konnte meine
Beine 1 ½ Stunden keinen Zentimeter bewegen. Der Kofferraum konnte aufgrund der
Überladung nicht geschlossen werden und wurde lediglich festgebunden, sodass
die Abgase permanent in das Wageninnere gelangten. Die Geschwindigkeit wurde
selbstverständlich nicht angepasst sondern im gewohnten Höllentempo über die
nächtliche Hauptstraße gerast. Als wir dann die Außenbezirke Kampalas und damit
den unglaublichen Verkehrsstau stadteinwärts erreichten war meine Laune endgültig
im Keller. Mit dem nötigen Abstand möchte ich diese Erfahrung jedoch auf keinen
Fall missen.
Was gibt es sonst neues aus
Kampala:
·
Der Bürgermeister der Stadt, der der
Oppositionspartei angehört, wurde abgesetzt was zu Ausschreitungen, Steinwürfen,
Gummigeschossen und Tränengas in der Innenstadt führte.
·
Ein großer Markt für second hand-Kleidung im
Stadtzentrum wurde durch einen Großbrand zerstört. Es ist das vierte mal in
zwei Jahren, dass ein solcher Markt durch ein mysteriöses Feuer zerstört wurde,
weshalb viele Betroffene verärgert reagierten. Wiederum Ausschreitungen,
Steinwürfe, Gummigeschosse und Tränengas.
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