Eine arbeitsreiche Woche geht in’s
Land, ein neues Wochenende, ein neuer Einblick in das Leben abseits Kampalas.
Die Reise führte mich und meine nun beständigen Begleiter Denis und Emanuel an
diesem Samstag in den Kayunga District, in ein kleines Dorf namens Namulanda.
Denis macht sich jeden Sonntag auf die anderthalbstündige Fahrt hierher um am
Gottesdienst teilzunehmen. Außerdem wohnen viele seiner Verwandten hier und in
den umliegenden Dörfern. Als Transportmittel entschieden wir uns erneut für das
Taxi. Man kennt das ja mittlerweile: Beine anwinkeln, Zähne leicht auseinander,
Zunge einrollen und versuchen die Erschütterungen durch eine lockere
Sitzhaltung irgendwie abzufangen. In dieser Situation kommt mir immer in den
Sinn, dass das Reiten eines Pferdes wohl ganz ähnlich sein muss (auch wenn mich
nun jeder schelten möge, der schon mal auf einem Pferd gesessen hat…). Nach wie
vor ist jede Fahrt ein kleines Erlebnis für sich. Neben mir wird erneut ein
Huhn transportiert, diesmal in einer Plastiktüte. Nur der Kopf schaut heraus.
Manchmal scheint das Tier der Ohnmacht nahe, senkt den Kopf und schließt die
Augen. Dann kommt das nächste Schlagloch. Der Fahrer lässt uns in einem in
Anbetracht des Zustands der Straße geradezu unverschämtem Tempo durch die
Landschaft fliegen. Vorbei an endlosen Plantagen, Sümpfen und durch Dörfer mit
unaussprechlichen Namen, die sich alle zum Verwechseln ähnlich sehen. In der
Regel findet man hier nichts weiter als ein paar Häuser aus Stein oder Lehm,
die bunt angemalt die Straße säumen und für Margarine oder einen der großen
Mobilfunkanbieter im Land werben. Daneben einige Restaurants und Pubs, Gemüsestände
und kleine Handwerksläden. Unter Letzteren auffallend viele Zimmermänner, die
vor allem Särge herzustellen scheinen (durchschnittliche Lebenserwartung ca. 53
Jahre). Auf ausgebreiteten Planen trocknen Kaffeebohnen in der Sonne, die an
diesem Tag besonders brutal auf uns nieder scheint. Hier und dort ist Markttag
und es werden neben billigen Plastikspielzeugimporten vor allem große Mengen an
Kleidung angeboten. Nur kurz tanken und weiter geht die Wahnsinnsfahrt. Wenige
hundert Meter vor uns schleppt eine alte Frau zwei 25 L - Kanister voll Wasser
über die Straße, als unser Fahrer zum Überhohlmanöver des vorausfahrenden Taxis
ansetzt. Zum Glück ist die Frau gut in Form und sie schafft es gerade noch auf
die andere Straßenseite. In einem der größeren Dörfer halten wir schließlich an
und steigen aus. Der restliche Kilometer nach Namulanda wird zu Fuß bestritten.
Ansicht von Namulanda, ein Dorf wie so viele andere. |
Schnell stelle ich fest, dass sich hierher wohl nur wenige Touristen verirren.
Ausnahmslos alle starren mich ungläubig an, einige lachen (mich an oder aus??).
Wie immer sind die Kinder sind außer Rand und Band und schreien “Hi Muzungu!
Bye Muzungu!“. Am Ende des Tages werde ich nicht mehr in der Lage sein zu
zählen wie oft ich einer Kinderschar zurückgewunken habe (was jedes mal die
größte Heiterkeit hervorruft). In den Gesprächen zwischen Denis, Emanuel und
den Dorfbewohner ist gefühlt jedes dritte Wort „Muzungu“. Nach kurzer Zeit
erreichen wir das Haus von Denis Tante. Im Vergleich zur Nachbarschaft eher
eines der größeren Gebäude, wenn auch immer noch bedeutend kleiner als man es
als Mitteleuropäer gewohnt ist. Die Wand ist aus Ziegelstein mit grobem Mörtel gemauert.
Das Dach ist ein Wellblech. Als wir später eintreten stelle ich fest, dass die
Wände der wenigen Innenräume nicht bis zum Dach hochgemauert wurden, überhaupt
fehlt eine Decke. Der Innenraum wird vom Dach abgeschlossen, das einige Löcher
aufweist. In einem Nebengebäude befindet sich die „Küche“, will heißen ein Raum
in dem das Feuer gemacht wird auf dem das Essen zubereitet wird. Das Haus ist
an das Stromnetz angeschlossen. Wasser muss allerdings von der nahe gelegenen
Wasserstelle geholt werden. Hierbei handelt es sich um eine simple Handpumpe,
die das oberflächennahe Grundwasser zur Oberfläche befördert. Das Wasser muss
vor dem Verzehr abgekocht werden, auch wenn Denis berichtet, dass einige
Dorfbewohner es im unbehandelten Zustand trinken und behaupten gegen
Krankheiten immun zu sein. Nach offiziellen Zahlen stehen über 80 % der
Krankheiten im Land in Zusammenhang mit verunreinigtem Wasser. Denis Tante ist
nicht zu Hause, sodass wir uns auf den Weg in die Plantagen machen, wo sie
einige Parzellen besitzt. Der Kayunga District wird auch als “fruit basket“,
also „Obstkorb“ Ugandas bezeichnet. Der Boden ist (wie in großen Teilen
Ugandas) besonders fruchtbar. Es werden Matoke, Ananas, Kakao, Kaffee, Papaya,
Mango, Maniok und so weiter angebaut und von hier aus nicht nur über ganz
Uganda verteilt, sondern auch in die angrenzenden Länder exportiert. Die
Landwirtschaft stellt den mit Abstand stärksten Wirtschaftszweig und größten
Arbeitgeber in Uganda dar und das Potential ist bei weitem noch nicht
ausgeschöpft. Im Gespräch mit Denis und Emanuel (beide bezeichnen sich selbst
als “agriculturalists“) stellt sich schnelle heraus, dass es sich um den
wertvollsten der ungehobenen Schätze Ugandas überhaupt handelt (von den jüngsten
Ölfunden im Nordosten des Landes vielleicht abgesehen). Denn wie überall in der
Welt besteht auch hier der Trend zur Landflucht. Die Städte, insbesondere
Kampala, üben eine magische Anziehungskraft auf die ländliche Bevölkerung aus
und versprechen schnelles Geld und eine bessere Zukunft. Dieser Traum erfüllt
sich natürlich nur für die allerwenigsten. Die Kapazität des urbanen Arbeitsmarktes
ist nicht unerschöpflich. Neben dem unzureichenden Bildungssystem und dem
extrem niedrigen Altersdurchschnitt (15 Jahre!) sicherlich einer der wesentlichen
Gründe für die unglaublich hohe Jugendarbeitslosigkeit im Land. Die Folge ist,
dass die riesigen fruchtbaren Flächen Ugandas zu großen Teilen ungenutzt
bleiben. Immerhin, Emanuel und Denis scheinen die Zeichen der Zeit erkannt zu haben
und planen beide in ein Stück Land außerhalb Kampalas zu investieren. Während
Denis eher der Viehzucht zugeneigt ist (und meines Wissen im Dorf seiner Mutter
schon einige Schweine hält), verspricht sich Emanuel durch den Anbau von Kakao
den größten Gewinn. Hier bemerke ich erneut, was mir schon in vielen Gesprächen
mit jungen Ugandern/innen aufgefallen ist: Jeder hat bei weitem mehr als einen
Plan für seine Zukunft und oft wird an deren Verwirklichung parallel
gearbeitet. Es ist also durchaus möglich, dass jemand unter der Woche in
Kampala Brot verkauft und am Wochenende in ein kleines Dorf fährt um seinen
Acker zu bestellen und das Vieh zu füttern (welches unter der Woche von Familienmitgliedern
versorgt wird). Überhaupt verläuft der Werdegang der ugandischen Jugend bei
weitem nicht so stringent wie in der „alten Welt“. Studium und Arbeit können
sich oft abwechseln um das entsprechende Geld für die Ausbildung zu verdienen.
Eine akademische Ausbildung ist sehr teuer und Unterstützung von Seiten des
Staates nur schwer zu bekommen. Flächendeckende Programme wie Bafög existieren
nicht, höchstens die punktuelle Unterstützung einzelner durch eine NGO (wie z.B.
Fontes). Naja, zurück zu meinem Ausflug:
Stöcker statt Dreschflegel: Kinder prügeln Erbsen aus ihren Hülsen |
Ich konnte den
Anbau aller möglichen tropischen (Feld-)Früchte bestaunen. In der Regel werden
mehrere Früchte auf einer Parzelle gleichzeitig angepflanzt um Synergien und den
Boden möglichst nachhaltig zu nutzen. So spenden zum Beispiel die Bananenstauden
Schatten für die darunter angebauten Bohnen, welche wiederum den Stickstoff der
Luft binden und dem Boden zuführen. Der Grad der Mechanisierung ist (zumindest
in diesem Teil des Landes) gleich null. Landwirtschaft wird hier in der Regel
noch so betrieben wie in Deutschland zur Jugendzeit meiner Großeltern. In den
Plantagen sieht man einige Kinder umherlaufen. Emanuel berichtet, dass es
selbstverständlich ist das die Kinder der Mutter vor und nach der Schule bei
der Feldarbeit zur Hand gehen. Mitten im unübersichtlichen Gewirr aus Plantage,
Gestrüpp und Feldweg treffen wir schließlich Denis Tante. Zwar spricht sie kein
Wort Englisch, aber sie freut sich trotzdem meine Bekanntschaft zu machen.
Zusammen laufen wir zurück zum Haus und werden von Tante Ssebugwawo bestens
bekocht. Es gibt eine unglaublich leckere Portion Matoke, die mit einer Art
Eintopf mit kleinen, getrockneten Fischen übergossen wird. Nach einem
Verdauungsspaziergang durch das Dorf und ein wenig Tratsch mit den Nachbarn
(einziges Thema: Was macht der Muzungu hier?) winken wir ein Boda Boda heran um
uns auf den Weg zu den Kallagalla Wasserfällen des Nil zu machen.
Es folgt eine
halbstündige Boda-Fahrt mit vier Personen. Der Fahrer sitzt auf dem Tank. Als
wir mit Schwung den nächsten Hügel nehmen wollen geht uns der Sprit aus (was
wirklich oft vorkommt). Zum Glück kennt unser Fahrer einige Tricks. Er legt das
Boda für einige Momente auf die Seite und saugt anschließend am Einfüllstutzen
des Tanks. Der Motor springt wieder an und wir schaffen es bis in das nächste
Dorf, in dem es eine Zapfsäule gibt. Der Anblick der Stromschnellen
und des kleinen Kallagalla-Wasserfalls entschädigt in jedem Fall für die
Strapazen.
Eindrucksvolles Katarakt: Die Kallagalla-Wasserfälle des Nil, nördlich von Jinja. |
Eine pittoreske Kulisse: Die Stromschnellen der Wasserfälle. Dem geowissenschaftlichen Auge schmeichelt das schöne Beispiel für Wollsackverwitterung. |
Wir verweilen einige Zeit und genießen den Augenblick, bevor wir uns
auf den Rückweg begeben. Zu guter Letzt statten wir Denis „Kirche“ noch einen
Besuch ab. Es handelt sich um eine wirklich schäbige Hütte, die von der
Gemeinde selbst erbaut wurde. Die Sonne ist mittlerweile untergegangen und es
gibt keinen Stromanschluss. Aus dem Dunkeln dringt Musik und Gesang, die
Generalprobe für den morgigen Gottesdienst. Alle freuen sich mich zu sehen und
drängen mir einen weiteren Besuch an einem Sonntag in naher Zukunft auf. Da
Denis bei seiner Tante übernachten wird machen Emanuel und ich uns zu zweit auf
den Heimweg. Diesmal auf den Beifahrersitzen, die sich im Vergleich zu allen
anderen als äußert komfortabel herausstellen.
Einige Mitglieder der Gemeinde freuen sich auf ein baldiges Wiedersehen... |